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Die Rolle des Mororeflexes bei emotionaler Regulation – Wie dieser Schreckreflex Gefühle steuert

Imagebild Schreiendes Kind

Ein Kind rastet scheinbar ohne Vorwarnung aus. Es schreit, weint, klammert sich panisch an die Bezugsperson oder zieht sich plötzlich komplett zurück. Diese emotionalen Reaktionen wirken für Außenstehende oft überzogen – doch sie haben häufig einen tieferen, körperlich verankerten Ursprung: den Moro-Reflex.

Was dieser Reflex mit emotionaler Regulation, Stressverarbeitung und sogar zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun hat, ist ebenso faszinierend wie relevant – vor allem im pädagogischen und therapeutischen Kontext.


Was ist der Mororeflex?

Der Mororeflex ist einer der frühesten Überlebensreflexe. Schon im Mutterleib entwickelt, sorgt er dafür, dass ein Baby auf plötzliche Reize wie Lärm, Lichtveränderung oder Bewegungen reagiert – mit einer Schreckreaktion: Arme weit nach außen, ein tiefer Atemzug, kurzes Innehalten – und dann (idealerweise) Beruhigung.

Diese Reaktion ist wichtig – sie schützt das Neugeborene und bereitet den Körper auf Kampf oder Flucht vor. Im Normalfall wird der Moro-Reflex innerhalb der ersten 4 bis 6 Lebensmonate vom Nervensystem gehemmt.


Was passiert, wenn der Moro-Reflex aktiv bleibt?

Wenn der Mororeflex nicht vollständig integriert wird, bleibt er als sogenannter Restreflex aktiv – oft unbewusst und chronisch. Das bedeutet: Das Nervensystem reagiert auf Alltagsreize (Lärm, Kritik, Zeitdruck, Konflikte) wie auf einen Notfall.

Typische Folgen sind:

  • Ständige innere Alarmbereitschaft
  • Überreaktionen bei Stress oder Überraschungen
  • Impulsives Verhalten, Wutausbrüche, Trennungsängste
  • Sensorische Überempfindlichkeiten (Geräusche, Licht, Berührungen)
  • Mangelnde emotionale Selbstregulation

Kinder (und auch Erwachsene!) mit einem aktiven Mororeflex geraten schnell in emotionale Überforderung – ihr System springt in einen neurobiologischen Alarmzustand, noch bevor der Verstand „mitdenken“ kann.


Der Mororeflex und das Nervensystem

Ein dauerhaft aktiver Mororeflex hält das autonome Nervensystem in einem Ungleichgewicht:

  • Der Sympathikus (Aktivierungsnerv) ist ständig überreizt
  • Der Parasympathikus (Beruhigungsnerv) kann nicht ausreichend gegenregulieren

Das hat weitreichende Auswirkungen:

  • Die Stresshormone Cortisol und Adrenalin werden chronisch ausgeschüttet
  • Das Kind hat Schwierigkeiten, in einen Ruhezustand zu kommen
  • Einschlafen, konzentrieren, zuhören oder emotionale Gespräche werden zur Herausforderung

Was das für den Alltag bedeutet

Kinder mit aktivem Mororeflex sind oft besonders:

  • schreckhaft
  • reizempfindlich
  • überaktiv oder erschöpft
  • anhänglich oder sozial überforderbar
  • stimmungsschwankend oder schnell frustriert

Sie wirken launisch, anstrengend oder „zu sensibel“. Doch tatsächlich kämpfen sie mit einem Körper, der ständig Alarm schlägt, ohne dass sie es bewusst steuern können.


Was hilft – Wege zur Regulation

1. Verständnis statt Bewertung

Die wichtigste Grundlage: Erkenne die Reaktion deines Kindes als Schutzmechanismus – nicht als Trotz. Frage dich: "Wovor schützt sich mein Kind gerade?"

2. Routinen und Vorhersehbarkeit

Kinder mit aktivem Mororeflex reagieren empfindlich auf plötzliche Veränderungen. Struktur, klare Abläufe und sanfte Übergänge geben Sicherheit.

3. Co-Regulation durch Beziehung

Kinder lernen emotionale Selbstregulation durch das Nervensystem der Bezugsperson. Deine Ruhe überträgt sich. Nähe, achtsame Sprache und Mitgefühl helfen dem Kind, sich wieder zu beruhigen.

4. Gezielte Reflexintegration

Durch wiederholte, sanfte Bewegungsübungen kann der Moro-Reflex nachträglich integriert werden. Dies bringt das Nervensystem aus dem Alarmmodus zurück in Balance – mit positiven Effekten auf Emotionen, Verhalten und Selbstwahrnehmung.

5. Achtsamer Umgang mit Reizen

Reizüberflutung vermeiden, Rückzugsorte schaffen, regelmäßige Pausen einbauen – all das unterstützt das überlastete System.


Fazit

Der Mororeflex ist kein „Fehler“, sondern eine tief verwurzelte Schutzreaktion. Doch wenn er aktiv bleibt, steht er der emotionalen Reifung im Weg. Kinder mit aktivem Mororeflex brauchen keine strengere Erziehung – sie brauchen Regulation, Verbindung und Verständnis.

Wenn wir ihre Reaktionen nicht als „zu viel“, sondern als Hilferuf eines überforderten Nervensystems begreifen, entsteht ein neuer Raum für echte Begleitung – auf Augenhöhe und mit offenem Herzen.

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